Liebesroman «Sommernachtsmagie»

Sympathische Helden. Ein bezaubernder Ort. Liebenswerte Tiere.

Dancing Coons, eine Kleinstadt im Adirondacks-Gebirge.

​Die Ex-Soldatin Mikell Irvine verbringt mit Freunden einen zauberhaften Sommerabend im Wald, als ein unerwarteter Gast auftaucht. Wolf Henry, den ein Unglück Jahre zuvor in die Einsamkeit trieb, ist nach Coon County zurückgekehrt. Mit seinem tiefgründigen Wesen und seiner Naturverbundenheit zieht er Mik in seinen Bann. Doch in Miks Seele verbirgt sich ein qualvolles Geheimnis und auch Wolfs Trauma scheint unüberwindlich  — gäbe es da nicht ihre treuen Freunde. Gegen sie, die heilende Kraft der Musik und die ganz besondere Coon-County-Magie haben selbst die finstersten Dämonen der Vergangenheit keine Chance.

«Sommernachtsmagie» erzählt eine humorvolle, romantische und tiefgründige Wohlfühlliebesgeschichte für Erwachsene. Sie spielt an einem Ort zum Verlieben, dessen Einwohner bedingungslos zusammenhalten. Wer sympathische Protagonisten, Hunde, Baby-Wölfe, Katzen, Stinktiere und die wilde Natur liebt und vom Leben in einer amerikanischen Kleinstadt träumt, kann mit diesem Buch eine wundervolle kleine Auszeit genießen.

Der Roman ist in sich abgeschlossen.

 

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LESEPROBE

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Isa Day

Sommernachtsmagie

Dancing Coons

Pongü

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1. Auflage 2023

© 2023 Isa Day und Pongü Text & Design GmbH, Meilen, Schweiz

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Isa Day

ISBN 978-3-906868-41-7 (eBook)

 

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Kapitel 1

Mik stellte das Plastikbecken mit der Seifenlauge auf die Bar, presste das Wasser aus dem Putzlappen und führte ihn über das alte, zernarbte Holz.

Der Mittagsansturm im Grilled Moose war vorbei. Zu dieser Jahreszeit fand er hauptsächlich draußen statt, wo eine mächtige alte Hängebuche die Tische wie ein lebendes Zelt überspannte. Das sommerliche Blätterdach war so dicht, dass selbst ein plötzlicher Sturzregen, wie er in der vergangenen Stunde niedergegangen war, den Gästen nichts anhaben konnte. Am Abend wiederum, wenn sich die Lichterketten und Laternen in den Ästen einschalteten, wurde das Gartenrestaurant zu einem magischen Ort, der nicht von dieser Welt schien.

Mik liebte es, dann Schicht zu haben. Die Menschen waren entspannt und glücklich und niemanden kümmerte es, wenn alle Tische besetzt waren. Stattdessen gingen die Leute zum Anbau des traditionell amerikanischen Gebäudes und holten Kissen, Sitzsäcke oder Kisten, mit denen sie sich an einer freien Stelle einrichteten.

Im Moment war diese Improvisation nicht nötig. Draußen saßen nur noch einige Einheimische und eine Touristenfamilie, die sich mit Genuss über ihre substanziellen Eisbecher hermachte, während bereits wieder Sonnenstrahlen durch das Blätterdach blitzten. Bear, der Besitzer des Grilled Moose, schaute nach dem Rechten.

Mik hatte den Innenbereich für sich. Wie an jedem Arbeitstag nutzte sie die ruhige Zeit, um alle Oberflächen zu waschen, den Boden zu wischen und die Sitzkissen aufzuschütteln, damit auch die nächsten Gäste ein blitzblankes Restaurant vorfanden, in das sie gerne einkehrten.

Sie liebte diese einfachen, repetitiven Tätigkeiten, die andere als langweilig erachteten und möglichst vermieden.

In ihrer Zeit als Special-Forces-Soldatin hatte sie schlimme Dinge gesehen. Nicht unbedingt Kampfhandlungen. Ihre Spezialeinheit hatte andere Aufträge ausgeführt. Aber auch so gab es viel zu viel Elend und Trauriges auf der Welt.

Diese Erinnerungen suchten sie regelmäßig heim — im Wachen, wenn völlig unerwartet irgendein Bild vor ihrem inneren Auge aufblitzte, wie im Schlafen, wenn grausige Albträume sie hochschrecken ließen.

Augenblicke, in denen ihr Geist leer war und es nur sie, das alte Plastikbecken und den nach Orangenöl riechenden Putzlappen gab, waren kostbar und es galt sie auszukosten.

«Miss Mikell?»

Mik erkannte die raue, leicht brüchige Stimme, obwohl sie diese einen Monat lang nicht mehr gehört hatte. Mit einem Lächeln wandte sie sich um. «Eustis, wie schön, Sie zu sehen. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass Sie Coon County verlassen haben, ohne sich zu verabschieden.»

Eustis war einer der Oldtimer des Bezirks, ein liebenswerter Mann um die Sechzig mit den Manieren einer früheren Zeit. Gerade hielt er seine verblasste Schildmütze mit beiden Händen an die Brust gepresst. Sein graues Haar war lang geworden und stand ihm etwas wild vom Kopf. Die Falten in seinem von Sonne und Wind zerknitterten Gesicht wirkten tiefer, doch seine Augen strahlten so warm und schüchtern wie in Miks Erinnerung.

«Das habe ich auch. Den Bezirk verlassen, meine ich. Doch nun bin ich zurück und möchte meine Schulden bezahlen. Haben Sie einen Moment Zeit dafür, Miss Mikell?»

Das kam überraschend. Vergangenes Halloween hatte ein Orkan Eustis übel zugesetzt. Die heftigen Winde hatten einen schweren Ast abgerissen und auf sein Dach geschleudert. Und wie viele ärmere Leute im Bezirk verfügte er über keine Versicherung.

Mik, die erst Mitte Februar nach Coon County gezogen war, hatte den Sturm nicht miterlebt, doch einige Häuser zeigten immer noch die Schäden jener Nacht. So war das einstöckige Blockhaus von Eustis im Moment mit einer Plastikplane und Moossoden gedeckt. Flache Steine — jeder davon so groß, dass ein Mann ihn knapp hochzuheben vermochte — hielten den Aufbau selbst bei heftigem Wind an Ort und Stelle.

Wie die Einheimischen Mik erklärt hatten, ließ es sich in so isolierten Behausungen angenehm leben, bis man sich wieder ein modernes Dach leisten konnte.

«Natürlich, Eustis. Ich hole Bears Buch. Möchten Sie hier abrechnen? Wir könnten sonst nach hinten. Alle Veranstaltungsräume sind frei.»

Die Menschen waren stolz auf ihre Unabhängigkeit. So empfanden es viele als peinlich, wenn ihre Geldnot bekannt wurde, obwohl insgeheim jeder davon wusste. In Coon County blieb kaum etwas verborgen.

«Hier ist gut.»

«Ich bin gleich wieder da.» Mik ging in die Küche, wo sie das A4-große Buch aus dem Safe holte.

Etwas vom ersten, was Bear ihr erklärt hatte, waren die Coon-County-spezifischen Codes und Regeln rund um die Essensausgabe. So durfte sie an der Hintertür jederzeit gratis Kaffee, Getränke und Essen an die First Responder vom Sheriff’s Department, der Feuerwehr und den Rangern abgeben — der Beitrag der lokalen Restaurantbesitzer an die Sicherheit im Bezirk. Auch gab es großzügige Essensspenden für die armen Familien. Und alle Einheimischen durften anschreiben lassen. Die Regeln, die diese Prozesse steuerten, waren verblüffend simpel und schienen Mik während ihrer ersten Zeit ein Garant dafür, dass Bear im Nullkommanichts Konkurs ging.

Was nicht eintrat. Das System funktionierte erstaunlich reibungslos — vielleicht, weil niemand es ausnutzte oder sich daran bereicherte.

Mik öffnete das Buch auf der richtigen Seite und legte es auf die Bar. Rechnen musste sie nicht. Es wurde wie ein altes Kontobuch geführt. Eine Spalte für den Betreff, je eine für Soll und Haben und eine für den Saldo.

«Hier sehen Sie das Total, Eustis.» Sie drehte das Buch so, dass er die Zeilen normal lesen konnte, und zeigte auf die Zahl.

Er nickte und zog ein Bündel Scheine aus der Tasche, das mit gefalteten Notizzetteln in kleinere Beträge unterteilt war. «Hier.» Er reichte Mik den obersten Betrag. «Das ist für Bear. Stimmt so. Und hier das Trinkgeld für Ihre Kolleginnen und Kollegen im Service. Auf den Notizzetteln habe ich jeweils vermerkt, für wen der Betrag gedacht ist. Und das ist Ihr Trinkgeld, Miss Mikell. Es tut mir leid, dass ich es Ihnen erst jetzt geben kann.» Mik erhielt ihren eigenen kleinen Stapel überreicht, auf dem in korrekter Schulhandschrift Miss Mikell stand.

Sie brauchte nicht nachzuzählen. Dank ihrer von Militär umfassend geschulten Beobachtungsgabe wusste sie, dass Eustis ihr mehr als die für Amerika typischen fünfzehn bis zwanzig Prozent gegeben hatte.

Eine normale Servierkraft war darauf angewiesen, weil die Löhne so tief waren. Mik verdiente durch ihren anderen Teilzeitjob als Sheriff’s Deputy jedoch ordentlich und wohnte ausgesprochen günstig. Zudem verfügte sie über Rücklagen aus ihrer Militärzeit.

«Eustis, Sie sind ein Schatz, aber benötigen nicht eher Sie diesen Betrag? Im Winter müssen Sie wieder ein richtiges Dach über dem Kopf haben.»

Er reckte die Schultern. «Und das werde ich auch haben. Verpflichtungen müssen eingehalten werden. Das ist ehrenhaft.»

Mik erkannte den Tonfall. Sie hörte ihn tagtäglich von den Einheimischen und wusste, dass er nicht nachgeben würde. «Dann müssen Sie mir erlauben, Ihnen auf Kosten des Hauses ein Getränk zu spendieren. Möchten Sie einen Kaffee? Oder etwas anderes?»

Seine Augen leuchteten auf. «Kann ich ein kleines Glas von Bears wunderbarem Eistee mit Apfelbeerensaft haben? Das entspricht von Preis her doch etwa einem Kaffee, richtig?»

Seine Begeisterung ließ Mik lächeln und sie legte ihm die Hand auf den Unterarm. «Das können Sie gerne haben und wissen Sie was? Ich habe heute den Kaffee noch nicht gehabt, den ich mir als Angestellte nehmen darf. Wenn ich den oben drauf lege, kann ich Ihnen ein großes Glas spendieren. In Ordnung?»

«Aber Miss Mikell, Sie brauchen doch Ihren Kaffee», versuchte er besorgt zu protestieren.

«Keine Widerrede, Eustis», befahl Mik im gleichen Coon-County-Tonfall, den auch er verwendet hatte, wobei sie ihre Worte mit einem Lächeln milderte. «Wenn Sie mir so viel Trinkgeld geben, dann darf ich Ihnen meinen Kaffee abtreten.»

«Na ja, wenn Sie das sagen.» Er glitt etwas verschämt auf einen Barhocker.

Mik bereitete das Getränk für ihn zu und gab sich besondere Mühe bei der Dekoration. «Darf ich neugierig sein und fragen, wie Sie das hinbekommen haben?»

Normalerweise hielt er sich mit Wartungsarbeiten über Wasser, zog Gemüse in seinem kleinen Garten und jagte, was Saison hatte, so wie die meisten ärmeren Einwohner des Bezirks.

Eustis legte seine Schildmütze auf die Bar und richtete sie so aus, dass das ausgebleichte Label eines bekannten Landmaschinenherstellers zu ihm zeigte. «Es war ein glücklicher Zufall. Ich hatte vor einigen Monaten in der Künstlerkolonie drüben zu tun. Dort begegnete ich Travis, dem Jungen mit diesem unförmigen kleinen Auto, das in den See rollte.»

Wie auch der Orkan hatte dieses lokale Drama vor Miks Umzug nach Dancing Coons stattgefunden, aber es handelte sich um eine Geschichte mit Happy End, sodass die Einheimischen sie gerne erzählten. Dark, einer von Miks ehemaligen Militärkameraden, kam als Held prominent darin vor. Und der knallrote Citroën 2CV, wie die korrekte Bezeichnung des unförmigen kleinen Autos lautete, war ein häufiger Anblick auf den Straßen des Bezirks. Mik fand den Oldtimer fast so süß wie die handtaschengroßen Fiat Topolinos, die sie während ihrer Einsätze in Italien bewundert hatte.

«Travis kenne ich», bestätigte sie.

Der junge Mann stammte aus einer steinreichen kanadischen Familie, wohnte im Moment in der lokalen Künstlerkolonie und verhielt sich so bescheiden und anständig, dass ihn die Einheimischen ins Herz geschlossen hatten. Seine künstlerischen Arbeiten konnten sich sehen lassen.

«Er arbeitete in einem der Freiluftateliers mit einer Motorsäge und — bitte entschuldigen Sie meine harsche Aussage, Miss Mikell — tat es derart falsch, dass erhebliche Verletzungsgefahr für ihn bestand. Ich ging hin und fragte ihn, ob ich ihm ein paar Tricks zeigen darf. Am Ende wurde ein ganzer Nachmittag daraus. Der Junge hatte tausend Fragen.»

Mik musste schmunzeln. Travis war lernbegierig und an den Menschen interessiert. Wahrscheinlich hatte er keine Ruhe gegeben, bis Eustis ihm sein ganzes Leben erzählt hatte.

«Als wir uns schließlich verabschiedeten, sagte er unerwartet: ‹Eustis, falls Sie bereit wären, diesen Bezirk für einige Wochen zu verlassen, kann ich Ihnen eine temporäre Stelle als Holzfäller in der Firma meines Großvaters anbieten. Wir suchen immer fähige Leute und besitzen Wälder in Maine, sollte es Probleme mit der kanadischen Arbeitserlaubnis geben.›»

Das war typisch Travis. Der Junge hatte ein gutes Herz. «Er wusste von den Orkanschäden an Ihrem Haus?»

«Ja, weil Darren, der Leiter der Künstlerkolonie, mich darauf ansprach, als er sich kurz zu uns gesellte. Und dass ich viele Jahre lang Holzfäller war, habe ich Travis während des Nachmittags selbst erzählt.» Eustis klang verlegen.

«Dann haben Sie angenommen?»

Eustis kratzte sich am Kopf. «Angenommen ist etwas viel gesagt. Ich erwiderte etwas wie: ‹Das wäre ein Segen.› Und vergaß sein Angebot gleich wieder. Die meisten Menschen versprechen alles und halten nichts. Aber wenige Tage später klopfte Travis an meine Tür und hielt mir das ausformulierte Arbeitsangebot und einen Vertrag hin.»

Inzwischen hatte Mik das Getränk fertig. Sie nahm einen kleinen Teller und arrangierte einige Zitronenkokoskekse darauf, die Eustis liebte.

Als sie beides vor ihn hinstellte, leuchteten seine Augen auf. «Oh! Nicht, dass Sie meinetwegen Probleme bekommen.»

«Werde ich nicht», beruhigte sie ihn. «Genießen Sie Ihren Erfolg, Eustis. Ich freue mich für Sie.»

Er schenkte ihr ein zurückhaltendes Lächeln. «Vielen Dank, Miss Mikell.»

Mik ließ ihn allein. Für seine Verhältnisse hatte Eustis gerade unglaublich viel gesprochen und sie wusste, dass er sein Essen und seine Getränke gerne in Stille genoss.

In der Küche legte sie das Kreditbuch zurück in den Safe. Bears Summe kam in einen Briefumschlag, auf den sie «Zahlung Eustis» und das Datum schrieb. Er zeigte mehrere Kolonnen früherer Vermerke, die alle durchgestrichen waren, damit man den neusten sogleich erkannte. Etwa fünf weitere Einträge hatten Platz, dann war jeder Zentimeter Papier gefüllt.

Was dann wohl geschah? Nahm Bear einen neuen Umschlag oder musste wieder ein gebrauchter aus seiner Post herhalten?

Mik schmunzelte. Schon verrückt, dass sie überhaupt über so etwas nachdachte. Coon County veränderte jeden. Dabei war sie erst vier Monate hier.

Die Trinkgelder sortierte sie den Namen nach in die persönlichen Fächer, auch ihr eigenes, und schloss den Safe wieder ab. Dass jemand vom Servierpersonal oder gar Bear die anderen beklaute, musste sie nicht befürchten.

Sie trat an die Tür zum Restaurant und schaute durch den schmalen Spalt, den sie offen gelassen hatte. Eustis saß direkt in ihrem Blickfeld. Gerade schob er sich mit verzückter Miene einen Keks in den Mund und schien vor Glück zu seufzen.

Mik freute sich, dass sie ihm mit einfachen Dingen eine solche Freude bereitet hatte.

Sie hörte Schritte in ihrem Rücken. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. «Das hast du gut gemacht», sagte Bear nahezu tonlos. «Und deinen Kaffee nimmst du dir natürlich noch. Verstanden?»

«Den brauche ich gar nicht. Es gibt kein besseres Koffein als das», erwiderte Mik ebenso leise und nickte zu Eustis hin.

Bears Zähne blitzten auf. «Ich weiß. Willkommen in meiner Welt.»

Mik folgte Bear zum Schreibtisch, der in einer Ecke stand, wo er die Dienstpläne und Aufgabenlisten überflog. Aufzuräumen gab es in der blitzblanken Küche im Moment nichts.

«Bist du nachher wie geplant weg?», fragte er.

«Wenn es für dich in Ordnung geht.»

Bear nickte. «Klar. Das haben wir so abgesprochen. Falls möglich, möchte ich dich jedoch um etwas bitten. Euer Treffen findet bei der Blockhütte der Warners statt. Korrekt?»

Tat es das? Mik überlegte. «Da bin ich mir nicht sicher. Die Wegbeschreibung von Betty lautete ‹zur Rennstrecke der Kids hinter der Künstlerkolonie, bei der toten Hemlocktanne in den Wald abzweigen und so lange weiterfahren, bis der Dreckpfad aufhört›. Liegt da die Blockhütte?»

«Ja, das kommt hin. Wäre es möglich, dass du Moonshine mitnimmst? Dann könnte sie mit Bettys Hunden spielen und im See baden.»

Mik staunte. «Du vertraust mir deinen Hund an?» Bear liebte das blinde und taube weiße Mischlingsweibchen über alles und behütete sie wie seinen Augapfel.

Er atmete tief durch. «Wenn es für dich in Ordnung geht. Seit ihr liebster Spielgefährte letztes Jahr gestorben ist, kommt der Spaß in ihrem Leben zu kurz. Du bist sehr verantwortungsbewusst und ich denke, bei dir passiert ihr nichts.»

Mik fühlte sich geehrt und zugleich besorgt. Sie liebte Tiere, besaß jedoch nur wenig Erfahrung in ihrer Haltung und Pflege. «Was muss ich beachten?»

«Du darfst sie auf keinen Fall von der Leine lassen. Weil sie nichts sieht und hört, erschrickt sie vor Dingen, die wir nicht nachvollziehen können. Sie trägt zwar einen GPS-Tracker am Geschirr, aber du weißt selbst, wie lückenhaft die Abdeckung bei uns ist. Wenn sie in die Wälder flieht, finden wir sie nicht wieder, und sie ist eine leichte Beute für die Wölfe und Pumas, von denen viele gezielt Hunde angreifen.»

Wölfe und Pumas jagten Hunde? Mik hatte beim Militär umfassende Überlebenstrainings absolviert und konnte sich in jeder Art von Wildnis durchschlagen. Trotzdem lernte sie jeden Tag Neues von den Einheimischen. «OK, was sonst?»

Bear rieb sich nervös die Hände. «Sie erkältet sich rasch, rascher jedenfalls als andere Hunde, scheint es mir. Falls ihr baden könnt, wäre ich froh, wenn du sie nachher abtrocknest und sicherstellst, dass sie nicht friert. Ich gebe dir ein Tuch und eine Decke für sie mit.»

«Mache ich. Braucht sie spezielle Nahrung oder darf sie alles haben? Betty ernährt ihre Hunde artgerecht, aber ein Rädchen Wurst fällt schon einmal ab.»

Nun lächelte Bear. Er wirkte erleichtert, dass Mik seine Bedenken ernst nahm. «Was Betty ihren Tieren gibt, darf auch Moonshine haben. Ich gebe ihr manchmal selbst etwas, wobei ihr liebstes Menschenessen für die Hundegesundheit sogar positiv ist. Sie liebt Hüttenkäse. Falls welcher auf der Picknickdecke steht, musst du ein Auge darauf haben. Sie mag blind und taub sein, aber ihre Nase ist erstklassig und ihre Manieren sind flexibel.»

«Schlaues Mädchen. Ich mache den Innenbereich fertig, sobald Eustis gegangen ist, und bin dann weg. Wie handhaben wir die Übergabe von Moonshine?»

«Lass mich rasch in den Garten schauen.» Bear ging zur Tür und überprüfte die Situation. «Alle scheinen zufrieden. — Doreen?»

«Ja?», antwortete eine etwas heisere Stimme von draußen. Sie gehörte einer liebenswerten älteren Dame, die mit ihrem Mann etwa einmal in der Woche im Grilled Moose aß. Mik bediente die beiden regelmäßig. Bash, Doreens Ehemann, trug Brillengläser so dick wie Flaschenböden. Mik gab sich immer besondere Mühe, ihm seine Bestellung so auf den Tisch zu stellen, dass er alles möglichst gut erkennen konnte und deshalb nichts umstieß.

«Moonshine begleitet heute Mik und wir möchten uns kurz in meinem Büro absprechen. Könntest du neuen Gästen sagen, dass ich in fünf Minuten zurück bin?»

«Kein Problem.»

«Danke.»

Bears Büro lag im selben Anbau wie der Lagerraum mit den improvisierten Sitzgelegenheiten für den Garten, der das Grilled Moose L-förmig erweiterte. Vom Gästebereich aus gab es keinen Zugang. Man erreichte das Büro entweder über die Lieferantenzufahrt oder durch die Tür im hinteren Bereich der Küche, zu der Mik ihrem Boss gerade folgte. Sie öffnete sich in einen schmalen, von Regalen gesäumten Gang, der hinter dem Lager hindurch in den schlicht eingerichteten Raum führte.

Von zwei Seiten fiel Licht herein. Links flankierte eine Reihe kleiner Fenster den Ausgang zur Lieferantenzufahrt und dem Pausentisch der Mitarbeitenden. Geradeaus eröffnete eine raumhohe, nach Norden ausgerichtete Glaswand den Blick auf einen eingezäunten Garten. Bears Schreibtisch stand direkt davor, sodass er jederzeit hinausschauen konnte. An den Arbeitsplatz schloss ein knöchelhohes hölzernes Podest mit einem weichen Kissen an — Moonshines Bett, wo sie meistens schlief.

Nur war sie nirgends zu sehen.

«Sie wird im Garten sein», sagte Bear und schob die halb offene gläserne Schiebetür weiter auf. «Komm mit.»

Mik folgte ihm und schaute sich neugierig um. Hier draußen war sie noch nie gewesen.

Der Garten erwies sich als kleines Paradies. Überall blühte etwas und entlang des zwei Meter hohen Lattenzauns reihten sich Spalierobstbäume, ihre Zwischenräume gefüllt mit Insektenhotels. Ein stetiges Summen erfüllte die Luft.

Rechts hinter dem Zaun ragte die Hängebuche auf, die das Gartenrestaurant überspannte. Ihre braunvioletten Blätter glitzerten silbern, wo sie die Strahlen der Mittagssonne einfingen, und Mik hörte die leisen Unterhaltungen der Gäste.

«Wow! Jemand hat einen grünen Daumen. Unglaublich, dass ein nordseitiger Garten so gut funktioniert», sagte Mik. Bei diesem Thema kannte sie sich aus. In ihrer Jugend hatte sie viele Stunden mit Pflanzen, Jäten und Ernten zugebracht.

Bear schmunzelte. «Meine Frau Susan.» Er zeigte zu einem nahen Haus, das Mik bei ihren früheren Besuchen im Büro bemerkt hatte. «Wir wohnen gleich da und sie betrachtet dieses Areal als Erweiterung unseres Gartens. Was übrigens stimmt. Du hast nie danach gefragt, aber das Grilled Moose samt Grundstück gehört mir. So wie das Haus und Grundstück direkt dahinter. Beides befindet sich seit mehreren Generationen im Besitz meiner Familie.»

Mik nickte nachdenklich. «Das ergibt Sinn. Man spürt eure liebevolle Hand bei den beseelten wie unbeseelten Dingen.» Sie schaute zur Hängebuche. Bäume waren von Natur aus prachtvoll, aber kein Baum wuchs ohne achtsame Pflege so perfekt.

«Da ist Moonshine», sagte Bear. «Ach herrje, und sie liegt im Sonnenlicht. Da habe ich nicht gut auf sie aufgepasst.»

Mik stutzte. Hunde vertrugen kein Sonnenlicht?

Bear bemerkte ihre Verwirrung. «Moonshine hat schneeweißes Fell und rosa Haut. Dort, wo das Fell dünn, kurz und exponiert ist wie an den Ohren oder auf dem Nasenrücken, kann sie Sonnenbrand und über die Jahre Hautkrebs bekommen. Ich hätte ihr diese Stellen heute mit Sonnencreme einreiben sollen. Weil es am Morgen bedeckt war, habe ich es vergessen.»

Bear kniete sich bei der Hündin hin, die auf einer kleinen Fläche aus Steinplatten lag und klopfte auf die Platte direkt neben ihr. Moonshine, die offenbar die Vibrationen gespürt hatte, öffnete die Augen, hob den Kopf und wedelte. Dazu stieß sie ein Winseln aus, das anders klang als das ihrer Artgenossen.

Miks Verstand, vom Militär auf kontinuierliches Beobachten getrimmt, schloss daraus, dass Hunde ihre Sprache zumindest teilweise über das Gehör erlernten und Moonshine durch ihre Taubheit kein korrektes Hund sprach.

Dafür war sie im Schmusen Weltmeisterin. Ihre Begrüßung für Bear fiel äußerst liebevoll und begeistert aus. Dabei schien es sie überhaupt nicht zu stören, dass sie ihn nicht sehen konnte.

«Kniest du dich neben mich, Mik, und streckst die Hand in ihre Richtung aus?»

Sie gehorchte.

Bear legte Moonshine sanft die Hand auf die Nase. «So sage ich ihr, dass ich etwas von ihr erwarte. Wenn ich — wie jetzt — ihre Nase hinabstreiche, weiß sie, dass das Ziel des Befehls vor ihr liegt.» Er führte seine Hand zu Miks.

Moonshine folgte Bears Bewegung. Als sie Miks Hand aufmerksam beschnüffelte, zog er seine zurück.

«So stellst du ihr neue Menschen vor, denen sie vertrauen kann.»

Die Hündin schien großen Gefallen an Mik zu finden, denn sie erhielt eine fast ebenso liebevolle Begrüßung wie zuvor Bear.

«Einmal sanft auf den Kopf tippen bedeutet Sitz. Ein längeres Tippen bedeutet Platz. Wenn sie spielen und herumtollen darf, greifst du in ihre Mähne und bewegst die Hände vorsichtig auf und ab, sodass ihr Kopf wackelt.»

«Verstanden. Was noch?»

«Zweimal rasch, aber sanft an der Leine ziehen bedeutet, dass sie zu dir kommen muss. Mit diesen Befehlen solltest du durchkommen. Sie ist erstaunlich klug. Wenn du einmal nicht weiter weißt, leg ihr die Hand auf die Schnauze. Dann unterbricht sie, was sie tut, und bleibt bei dir. Oder du fragst Josie. Ihre Mutter Rose hat mir geholfen, unsere Kommunikation durch Berührung zu entwickeln.»

Reichten diese Anweisungen wirklich aus? Mik versuchte, ihre Erfahrung als militärische Ausbilderin auf Hunde anzuwenden. Nein, da fehlte ein unverzichtbares Kommando. «Wie stoppe ich sie, wenn sie etwas absolut nicht darf?»

«Oh ja, das ist wichtig. Von Ferne nutzt du den gleichen Befehl wie für Komm, ziehst aber heftiger an der Leine, sodass sich der Impuls auf ihren Körper überträgt. Stehst du neben ihr, legst du ihr die Hand über die Augen. So kannst du sie zum Beispiel von etwas Suspektem, das sie gefunden hat, wegdrücken. Das ist dann aber ein scharfer Verweis, auf den sie stark reagiert. Tut sie etwas Harmloses, wie vom Hüttenkäse stibitzen, kannst du ihr den Zeigefinger quer über die Nase legen.»

Inzwischen saß Mik auf den Steinplatten und hielt die begeistert wedelnde Hündin in den Armen. «Alles klar, damit sollten wir durchkommen. Nun muss ich mich nur noch davon abhalten, sie zuzutexten.»

Bear wirkte plötzlich nachdenklich. «Mmh. Kommt darauf an, wie du das genau meinst. Ich spreche die ganze Zeit mit ihr. Klar, kann sie mich nicht hören. Dafür spürt und riecht sie meinen Atem, wenn ich ihr nahe bin. Vielleicht empfängt sie auch Vibrationen über ihre Barthaare oder Fußballen. Ich denke, ohne all das würde ihr etwas fehlen.»

Mik schmunzelte und verwuschelte der Hündin die Mähne. «Dann muss ich mich nicht zurückhalten.»

Menschen bewegten sich hinter dem Zaun. «Bear kommt gleich wieder. Er schaut nur rasch nach Moonshine», erklärte Doreen.

«Alles klar, danke.» Stühle kratzten über den Boden. Mik hatte die Stimme des Mannes erkannt und ahnte, wer die zweite Person war. Es handelte sich um Angestellte des lokalen Entsorgungsunternehmens Warner & Sons, die oft spät Mittagspause machten und nur wenig Zeit dafür hatten.

Bear zeigte zum Büro zurück.

Mik nickte und erhob sich. Bear legte Moonshine die Hand auf die Schnauze und ging los. Sie folgte ihm bei Fuß, ihr Gesicht in seiner Handfläche.

«Ich sage ihr, dass sie sich auf ihr Bett legen soll. Wenn du nachher gehst, holst du sie einfach hier ab. Da hängt der Rucksack mit ihrem Spielzeug, ihrem Tuch und ihrer Decke und gleich daneben ihre lange Spielleine.» Er zeigte zur Wand. «Und nimm den Ausgang zur Lieferantenzufahrt. Als Hund darf sie nicht in die Küche eines Restaurants.»

«Okay, und wie bringe ich sie am Abend heim?»

«Ich lasse die Hintertür meines Wohnhauses offen. Der Lichtschalter befindet sich links.»

Damit eilte Bear zu seinen Gästen zurück.

[…]

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«Sommernachtsmagie»

Dancing Coons

von Isa Day

 

Erscheinungsdatum: 30. Januar 2023

ca. 400 Seiten

erhältlich bei Amazon als eBook.

ISBN 978-3-906868-41-7 (eBook)

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