Fantasy-Liebesroman «Wolf des Südens»

Wenn in tiefster Dunkelheit ein magischer Funken Hoffnung aufleuchtet

Emilio, der Wolf des Südens, gilt als Eternas gefährlichster Auftragsmörder. In Wahrheit ist er der Sklave eines sadistischen Herrn, gefangen in einer hoffnungslosen, von Misshandlungen geprägten Existenz, aus der es kein Entkommen gibt.

Völlig überraschend erhält er eine unglaubliche Chance — sich in der Vergangenheit ein neues Leben zu schaffen. Emilio nimmt an und findet sich in einem eisig kalten, kriegszerrissenen Königreich der Vorzeit wieder. Es ist ein furchtbarer Ort mit schrecklichen Bewohnern, und Morayn, ihre junge, rotzfreche und jähzornige Königin, scheint die Schlimmste von allen.

Widerwillig schließt Emilio sich Morayns verzweifeltem Kampf um ihr Königreich an, und erkennt bald, dass die Erfüllung seiner geheimsten Träume zum Greifen nah ist. Aber reichen die Intelligenz und Fähigkeiten eines Mörders aus, um das Land, seine neue Familie und die Frau, die er liebt, zu retten?

«Wolf des Südens» ist der erste Band der romantischen Fantasy-Reihe «Die Treppen der Ewigkeit» von Isa Day, in der scheinbar verlorene (erwachsene) Protagonisten eine zweite Chance erhalten.

Der Roman erzählt eine ebenso zauberhafte wie spannende Fantasy Liebesgeschichte für Erwachsene, die zum Träumen einlädt. Sie spielt in einer nordisch geprägten Fantasy-Welt und erzählt von Schuld und Sühne und dem Mut, für das Wohl der Gemeinschaft scheinbar unüberwindbare Gefahren auf sich zu nehmen. Wer märchenhafte romantische Fantasy mit tiefgründigen Protagonisten und Elementen wie Zeitreisen, Zauberei, liebenswerten Tieren, einem Geheimnis aus der Frühzeit, Liebe und einer Prise Humor mag sollte auf seine Kosten kommen.

Der Roman ist in sich abgeschlossen.

Mit «Faya Namenlos» gibt es eine 100-seitige Prequel, die dich in die Fantasy-Reihe «Die Treppen der Ewigkeit» und die Welt von Eterna einführt.

 

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Übersicht der bisher erschienenen Bände:

Titelbild «Faya Namenlos» von Isa Day (Fantasyroman)
Titelbild «Wolf des Südens» von Isa Day (Fantasyroman)
Titelbild «Raghi der Schatten» von Isa Day (Fantasyroman)

Leserstimmen

«Eine unglaublich schöne Geschichte, die von Beginn weg ein Lächeln auf dein Gesicht zaubert und es bis zum Ende und sogar noch länger dort hält.»

«Dies ist ein großartiges Buch mit vielen neuen Fantasy-Ideen, das in seiner eigenen Welt spielt. Ich konnte es kaum weglegen. Ich liebte die Figuren, das Rätsel und den Humor und las es in einem Zug.»

«Ich liebe die Ausgangslage dieses Buches und wie dem Attentäter die Wahl zwischen Erlösung und Tod gegeben wird. Die Geschichte ist innovativ und thematisiert, wie die Zivilisation im Grunde gleich bleibt, sogar über sechstausend Jahre hinweg.»

LESEPROBE

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Isa Day

Wolf des Südens

Die Treppen der Ewigkeit

Pongü

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1. Auflage 2018

© 2018 Pongü Text & Design GmbH, Meilen, Schweiz

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Isa Day

eBook: ISBN 978-3-906868-09-7
Taschenbuch (BoD): ISBN 9783748116912

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Kapitel 1

Er hatte eine Frau getötet — kein außergewöhnliches Ereignis. Er war ein Auftragsmörder und das seit vielen Jahren.

Aber bei diesem Tod handelte es sich um einen Unfall.

Etwas erschreckte sein Pferd Reina am Markttag in einer der belebtesten Straßen Eternas. Sie ging nur ganz kurz durch, vielleicht ein Dutzend Schritte weit, bevor die starke Bindung zu ihm über ihre Panik siegte und sie sich seiner Kontrolle unterwarf.

Dann begann das Wehklagen.

Als er über seine Schulter schaute, sah er eine Frau auf den schmutzigen Pflastersteinen liegen. Ein Mädchen kniete weinend an ihrer Seite. Neben dem Kopf der Frau hatte sich bereits eine kleine Blutlache gebildet, und ihre Augen starrten in die Leere des Todes.

Und Hunderte von Blicken richteten sich in stiller Anklage auf ihn.

In diesem Augenblick wusste er, dass seine Existenz zu Ende ging. Denn im Königreich Eterna war der Preis für ein Leben ein Leben — sein eigenes.

Das alles war erst gestern passiert. Seitdem saß er in diesem Kerker und wartete darauf, dass die Richter kamen und ihm sagten, wann und wo. Vielleicht durfte er sogar wählen.

Er schnaubte.

Als ob! Auch wenn sie es nicht sicher wussten, vermuteten sie, dass er einer der Mörder des Meisters war. Nein, sie würden ihn so öffentlich wie möglich hinrichten, damit alle zuschauen konnten und begriffen, dass das Böse nicht für immer siegte.

Er erhob sich vom Bett, das aus groben Brettern bestand, und durchquerte den Raum zum vergitterten Fenster.

Der Kerker befand sich in einem der kleineren Türme des alten Magistratspalastes. Durch die Eisenstangen konnte er die unzähligen Türme und Turmspitzen von Eterna sehen. Die Stadt galt als eine der schönsten der Welt und war immer sehr geschäftig. Sogar jetzt, mitten in der Nacht, erfüllte das Geräusch vieler, vieler Füße die Straßen. Es glich dem sanften Summen eines Bienenstocks.

Er konnte die schmale Form des Mädchens nicht vergessen. Ihr Rücken war vor Kummer gebeugt, ihre Schultern zitterten. Und als sie ihn ansah, schien ihr Blick so alt wie diese ewige Stadt. Sie gehörte zu den Massen von Eternas Mittellosen — Legionen von Männern und Frauen und Kindern, deren Leben in der Dämmerung der Katakomben unter den Palästen und Villen stattfand, oder aber sie hausten in schäbigen Hütten entlang der mächtigen Wehrmauern, die die Stadt vor Eindringlingen schützten.

Er kannte das Niemandsland gut, das sich hinter eisernen Toren und hohen Steinmauern versteckte. Besucher, die auf den Boulevards spazieren gingen, dachten immer, dass diese Absperrungen schöne Gärten verbargen oder Zugang zu den Quartieren von Sklaven und Dienern ermöglichten.

Er wusste es besser.

In Eterna begann die Unterwelt auf der versteckten Seite der Schönheit, und der Tod wartete in jeder Ritze und jedem Schatten.

Falls sie ihm erlaubten, eine Nachricht zu schreiben und über seinen Besitz zu verfügen, plante er einen Vormund für das Kind zu ernennen oder ihr zumindest etwas Geld zu schicken. Beide Gesten nützten wahrscheinlich nicht viel, aber er hätte wenigstens versucht, das von ihm verursachte Unrecht wiedergutzumachen.

Er verstand immer noch nicht, was passiert war.

Reina, sein wertvollster Besitz, war ein voll ausgebildetes Mörderpferd und die sanfteste Seele, die er kannte — es sei denn, jemand griff ihren Meister an. Sie hatten sich unzählige Male gegenseitig beschützt.

Und er wusste eines mit absoluter Sicherheit: Sie erschreckte sich nicht — niemals.

Selbst als sie die Schlachtfelder der grauen Vorzeit überquert hatten und um sie herum Geister zu Tausenden aus der Erde aufstiegen, behielt sie ihr Ziel im Auge und zögerte nie.

Jemand hatte ihn reingelegt.

Und so endete seine Geschichte hier in diesem Moment — mit sechsundzwanzig Jahren. Er brauchte nicht mehr zu hoffen, eines Tages seine Freiheit zu erkaufen oder in seine Heimat im Süden zurückzukehren.

«Emilio?», wisperte der Wind seinen Namen.

Er wandte sich um und ließ den Blick über die Steinmauern der keilförmigen Gefängniszelle huschen.

Ein Schatten bewegte sich in der hintersten Ecke, da, wo das Licht der Fackel nicht hinreichte.

Nur wenige Leute konnten sich an ihn heranschleichen, aber sie konnte es.

«Namenlos», flüsterte er.

Als sie zu ihm rannte und sich ihm in die Arme warf, fing er sie und hielt sie lange fest.

«Es tut mir so leid!»

Sie lehnte sich zurück, um in seine Augen zu schauen. In vielerlei Hinsicht erinnerte sie ihn an das Mädchen, dem er heute die Mutter geraubt hatte, obwohl das Kind unter all dem Dreck hellhäutig und blond war. Fayas Haut schimmerte olivbraun wie die aller wahren Südländer. Ihre Haare und Augen glänzten schwarz wie die Nacht. Aber ihre Augen … ihr Ausdruck war noch älter als der des Mädchens. Dennoch war sie erst neunzehn Jahre alt.

Er musste es wissen. «Wurde ich reingelegt?»

«Ja. Ich habe versucht das Kind zu finden, weil ich wusste, dass du das Geschehene wiedergutmachen willst. Ich fand sie nicht. Da wurde ich misstrauisch. In Eterna gibt es immer einen Zeugen, der bereit ist für Geld zu reden.»

Emilio nickte.

«Nach langem Suchen fand ich sie auf den Feldern des Todes, wo ihre Haut auf einem brennenden Scheiterhaufen schmolz. Ihre Kehle war aufgeschlitzt, und ihre Augenhöhlen leer. Jemand verwendete sie als Opfer in seinem Spiel.»

«Der Meister?»

«Sie war nicht menschlich, Emilio. Ein mächtiger Hexer erschuf sie aus rotem Ton, Fett und Blut. Gemäß meinen Recherchen könnten sogar du und ich diese Imitationen heraufbeschwören, doch ist wahre Macht nötig, um sie wieder verschwinden zu lassen. Schaffst du es nicht, folgen sie dir und treiben dich in den Wahnsinn.»

Emilio schauderte. «Also kann es nicht der Meister gewesen sein.»

«Er hätte dafür bezahlen können. Aber ich habe seine Bücher überprüft. Darin fand sich kein Beweis, dass in diesem Zusammenhang Geld floss, Gefälligkeiten erbracht oder Dienstleistungen versprochen wurden.»

«Du hast was getan?»

Sie sah ihn mit ihren riesigen furchtlosen Augen an und legte ihre Fingerspitzen auf seine Lippen. «Du musst mir zuhören, Emilio. Es bleibt nicht viel Zeit, bis sie dich holen. Ich glaube, dass sie dir die Wahl der Treppen der Ewigkeit anbieten werden. Sollten sie das tun, bitte nimm an.»

Er starrte sie sprachlos an. Ihre Bitte warf tausend Fragen auf. Er versuchte, sich für die wichtigste zu entscheiden. «Ich dachte, die Treppen sind ein Mythos.»

«Sie sind echt. Ich bin sie mehrmals hinauf- und hinabgestiegen.»

Und die tausend Fragen explodierten zu einer Million.

Seine Ausbildung siegte über die Neugier. Konzentrier dich auf die Mission. «Welche Wahl habe ich?»

Faya nahm seine Hände, führte ihn zur Pritsche, die sein Bett war, und setzte sich mit ihm. «Ich benutze die Treppen für die Missionen unseres Meisters. Deshalb kann ich dir nur sagen, was ich von den Wächtern gelernt habe. Zeigt ein Bösewicht Reue, kann das Gericht der Ältesten ihm eine Alternative zur Hinrichtung anbieten — sich den Treppen der Ewigkeit für eine zweite Chance anzuvertrauen. Dazu musst du alles hinter dir lassen und deinen Wert beweisen. Schaffst du es, darfst du dein neues Leben weiterleben. Versagst du, vernichten sie deine Seele, als hättest du nie gelebt.»

Emilio schnaubte. «Klingt einfach. Warum sollte ich es versuchen? In vielerlei Hinsicht habe ich nie gelebt. Besser, sie töten mich sofort.»

«Lass den Meister nicht gewinnen. Bitte! Wir durften unser erstes Leben nicht aussuchen. Vergib nicht die Chance, dein zweites selbst zu gestalten.»

Er seufzte und löste sich aus ihrem hypnotischen Blick.

Sie kannte ihn zu gut, um ihn zu drängen. Stattdessen legte sie ihren Kopf auf seine Schulter. «Für eine Zelle ist diese nicht übel.»

Er musste grinsen. «Es gibt gute Gesellschaft. Bisher habe ich sieben Ratten gezählt. Das Wasser ist frisch, die Pritsche sauber, und sie gaben mir sogar einen Eimer.»

«Ein Paradies», seufzte Faya dramatisch.

Sie lachten leise.

«Natürlich könntest du auch mit mir fliehen auf dem Weg, den ich gekommen bin. Da hinten ist eine versteckte Tür. Und die Wände sind durchzogen von Tunneln.»

«Der Tag, an dem ich meine Ehre opfere, ist der Tag, an dem ich sterbe!»

Unbeeindruckt von seiner harten Antwort lächelte Faya und stand auf. «Geh die Treppen runter, Emilio. Versprichst du es mir?»

«Ich werde darüber nachdenken.»

Sie sahen sich für lange Momente an. Er wollte aufstehen und sie umarmen. Wenn er es tat, ließ er sie nie mehr gehen. «Wir sehen uns in der Hölle», flüsterte er schließlich den traditionellen Abschiedsgruß der Mördergilde.

«Wir sehen uns in einem neuen und glücklicheren Leben», antwortete Faya.

Sie verschwand wie ein Schatten. Er war wieder allein mit den Ratten.

 

Kapitel 2

Er wartete einen ganzen Tag lang, und dann noch einen. Die Wachen kamen, gaben ihm Nahrung und Wasser und leerten den Eimer.

Er hätte dankbar sein sollen. Viele Bewohner von Eterna verbrachten ihr Leben in bitterer Armut — fünf bis zwölf Menschen in einem einzigen schmutzigen und zugigen Raum, der kleiner als seine Zelle war, und ohne regelmäßige Mahlzeiten. Nur Wasser war nie ein Problem. Die Stadt war stolz auf ihre Aquädukte und vielen Brunnen. Und das Wasser zu verschmutzen — egal ob aus Versehen oder mit Absicht — wurde mit dem sofortigen Tod bestraft.

Er hätte dankbar sein sollen, denn er erhielt zwei weitere Tage in einem Leben, das offiziell zu Ende war. Doch das Warten quälte. Sekunden vergingen wie Jahre, Minuten wie Jahrtausende.

Warum brauchten sie so lange? Es gab nur ein Urteil.

Emilio setzte sich im Schneidersitz auf die Pritsche, und lehnte sich mit dem Rücken gegen die raue Steinmauer. Draußen schien die Frühlingssonne. Vögel sangen ihre schönsten Lieder. Und ihm war angenehm warm, was ein Segen war. Als Südländer hatte er sich nie an die Kälte gewöhnt, trotz des grausamen Trainings, dem sein Meister ihn unterworfen hatte.

Also warum jetzt? War die Falle schon lange geplant gewesen? Oder hatte er in letzter Zeit etwas getan, das seine schnelle Entsorgung erforderlich machte?

Unter den letzten Missionen fand sich nichts Besonderes. Ein Diener, der zu viel wusste. Ein dämlicher junger Prinz, der aus der Blutlinie entfernt werden musste, bevor er sie verunreinigen konnte. Ein paar Geschäftsleute, die ihre Konkurrenten hintergangen hatten.

Die Mörder des Meisters lernten früh in ihrer Karriere, seine Befehle nicht in Frage zu stellen. Emilio versuchte normalerweise, überhaupt nicht über sie nachzudenken. Wer das zu intensiv tat, dem drohte der Wahnsinn.

Er schlief ein paar Stunden lang. Bei Einbruch der Dunkelheit war er wieder hellwach.

Kurz nach Mitternacht kamen sie schließlich — drei Richter in schwarzen Kapuzenumhängen, die ihre Körper bis zu den Zehenspitzen verhüllten: einer groß und jung, erkennbar an seinen schnellen Schritten und seiner arroganten Haltung, einer korpulent und alt, und ein kleinerer von unbestimmtem Geschlecht, der sich mit geisterhafter Stille bewegte und sich leicht abseits der anderen hielt. Ihre Kapuzen waren so voluminös, dass kein Lichtstrahl ihre Gesichter erreichte. Selbst Emilio mit seiner hervorragenden Nachtsicht erkannte nur ein leichtes Schimmern, wenn ihre Augen das flackernde Licht der Fackel reflektierten.

Der Alte sprach ihn an. «Höre unser Urteil, Mörder. Du wirst zum Tod verurteilt, weil du aus Versehen eine Frau umgebracht hast, aber wir geben dir eine Wahl. Du kannst dich für den Tod durch Enthauptung entscheiden. Oder du versuchst dein Glück auf den Treppen der Ewigkeit. Und täusche nicht Unwissenheit vor. Wir wissen, dass deine kleine Freundin dir davon erzählt hat.»

Emilio wartete schweigend.

Wie erwartet, wurde einer der Richter — der arrogante junge Mann — bald ungeduldig. «Was sagst du, Mörder?»

«Was macht dich so sicher, dass ich nicht auf der Treppe umkehre und Jagd auf dich mache?», fragte Emilio nonchalant.

Der junge Mann zischte.

Der korpulente Richter lachte. «Friede, Emilio — Wolf des Südens. Die Wahl der Treppen zu erhalten ist eine Ehre. Was willst du wirklich wissen?»

«Warum ich?»

Der Mann zeigte keine sichtbare Reaktion. Interessant. Seine Ausbildung befähigte Emilio dazu, die meisten Menschen zu durchschauen oder ihre Motive zu erahnen. Dieser Mann gab nichts preis. In vielerlei Hinsicht erinnerte er ihn an den Meister. Aber er war es nicht. Keiner von ihnen war es.

«Du bist ein Mann mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, Wolf des Südens. Und wenn der Meister dich deiner Familie nicht weggestohlen hätte, hättest du ein großer Mann werden können. Deine Fähigkeiten sind gefragt. Das ist der Grund.»

Schweigen erfüllte die Zelle.

Mal sehen, wie sie auf einen Verhandlungsversuch reagieren.

«Ich wäre möglicherweise dazu bereit, wenn Reina, meiner Stute, nichts passiert. Wenn ihr sie einem neuen verständnisvollen Besitzer gebt, der sie für den Rest ihres Lebens liebevoll umsorgt.»

Dieses Mal reagierten alle Richter. Der kleinste von ihnen gluckste. Der hitzköpfige stampfte vor Ärger mit dem Fuß. Ihr Sprecher wiederum zuckte überrascht zurück.

«Du glaubst, dass du in deiner Situation verhandeln kannst?»

Emilio starrte in die Schwärze unter der Kapuze. «Wer weiß?»

«Dann gebe ich dir mein Ehrenwort, dass deine Stute gut umsorgt und an den bestmöglichen Besitzer gehen wird. Und bevor du fragst: Ich werde nicht von der Formulierung meines Versprechens abweichen. Du musst damit leben, wie es ist. Und nun sag mir!  Was soll es sein? Enthauptung oder die Treppen?»

Emilio traf seine Entscheidung. «Ich wähle die Treppen.» Seltsam. Das schien sie zu freuen.

«Dann höre nun genau zu», sagte der korpulente Richter. «Um die Treppen hinunterzugehen, musst du alles zurücklassen und so nackt sein wie am Tag deiner Geburt. Du entscheidest, welchen Ausgang du nimmst. Du wirst das Leben leben, das du dort findest. Schließlich wird es ein zweites Gericht geben. Du weißt nicht, wann und wo. Wenn du dich würdig erwiesen hast, darfst du bleiben, wenn nicht, wird deine Existenz ausgelöscht.»

Mit dem Ende dieser Erklärung wandten ihm die drei Richter den Rücken zu und schritten hintereinander aus der Zelle.

An ihrer Stelle traten zwei Wachen ein. Sie trugen einen Hocker, einen Eimer Wasser, ein Stück Seife und eines der gebogenen Messer, die in Eterna als Rasiermesser dienten.

«Ausziehen!», befahl ein Wachmann.

Emilio fixierte ihn mit seinem Blick. Wurde er wieder reingelegt? Sie konnten ihm mit dem Messer die Kehle durchschneiden.

«Ausziehen!», wiederholte der Wachmann, diesmal weniger hart. «Wir müssen deinen Kopf rasieren, und dann musst du dich waschen.»

Emilio gehorchte. Am Ende spielte es keine Rolle.

«Hinsetzen!»

Sie spritzten Wasser auf seinen Kopf. Er biss die Zähne zusammen, weil es nur eiskalt sein konnte. Überraschenderweise erwies es sich als angenehm warm. Der Wächter rieb ihm Seife ins Haar und arbeitete effizient, ohne dabei grob zu sein.

«Nicht bewegen. Ich fange über der Stirn an.»

Emilio spürte das Schaben des Messers, und seine Haarsträhnen fielen. Sie waren schulterlang, ihre Farbe blauschwarz wie Rabenflügel. Nun wellten sie sich auf dem Steinboden.

Als das Messer seinen Hinterkopf erreichte, hörte er einen scharfen Atemzug.

Sie hatten das Zeichen des Meisters gefunden. Im Gegensatz zu anderen Gildemeistern markierte er seine Schützlinge nicht mit einem Brandeisen. Seine Besitzerklärung war eine einfache Tätowierung — viel weniger schmerzhaft, aber nicht weniger verdammend. Diejenigen, die wussten, wonach sie suchen mussten, konnten sie finden. Und wenn sich die Haare eines Mörders lichteten, war er so gut wie tot. Denn das Zeichen war überall bekannt und gefürchtet.

«Rasier dir den Bart ab und wasch dich dann. Zieh den Lendenschurz da drüben an.»

Sie ließen ihn allein.

Emilio rasierte sich vorsichtig, um seine Haut nicht zu verletzten. Er trat eine Reise ins Unbekannte an, und es wäre dämlich, eine Infektion zu riskieren. Als er mit den Fingern prüfend über die Kopfhaut strich, erkannte er, dass der Wachmann auch vorsichtig gewesen war. Die Haut fühlte sich weich und unversehrt an.

Er rieb sich sein glattes Kinn. Er trug seinen Bart nie länger als die Breite eines kleinen Fingers. Ihn nicht mehr zu haben fühlte sich trotzdem seltsam an.

Er hüllte sich in den Lendenschurz, einen einfachen Streifen aus weißem Tuch.

Die Wachen kehrten zurück. «Gehen wir.» Sie versuchten ihn an den Oberarmen zu fassen.

Er wich ihrem Griff aus. «Eine Frage.»

Sie sahen ihn an.

«Lebt meine Stute — Reina — noch?»

«Ja, sie ist im Stall des Palastes und wird versorgt.»

«Was wird mit ihr geschehen?»

«Das hat dich nicht mehr zu kümmern, Mörder, aber—», der harsche Blick des Wachmanns wurde weicher, «da sie ein Vermögen wert ist, musst du dir keine Sorgen um sie machen. Ihr wird nichts passieren.»

Weitere Zugeständnisse als diese vage Bestätigung konnte er in seiner Lage nicht erwarten. Wenigstens schien es, als hätte der alte Richter die Wahrheit gesagt. Er nickte dankend.

Die Wachen nahmen seine Arme und führten ihn in den Korridor und durch die Gänge des Kerkers. Sie passierten unzählige dunkle, stille Zellen. Entweder ruhten die Gefangenen darin tot und von der Welt vergessen, oder sie waren einfach leer.

Emilio versuchte sich den Weg, den sie nahmen, zu merken, fand es aber außerordentlich schwierig. Der alte Magistratspalast von Eterna war ein gigantischer, über Jahrtausende erbauter Steinhaufen mit unzähligen Türmen, Gebäuden und Gängen. In einigen Bereichen gaben Schilder Auskunft darüber, wo man sich befand. Frühere Missionen hatten ihn dorthin geführt, und er wusste sich zu orientieren.

Dieser Teil des Gebäudes war jedoch nicht markiert. Als sie einen Bereich ohne Fenster erreichten, gab selbst Emilios fast perfekter Orientierungssinn auf. Unmöglich, dass sich die Wachen all diese Gänge und Abzweigungen merken konnten.

Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln und stellte fest, dass beide Männer mit den Fingern ihrer freien Hand gegen das Bein klopften. Sie folgten einem Rhythmus, vielleicht einem Lied. Für einen kurzen Moment überlegte er, sie zu verwirren, damit sie sich verzählten und von vorne anfangen mussten. Vielleicht gelang es ihm dann, ihren Code zu knacken.

Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich an seine Lage. Ob er ihren Code kannte oder nicht spielte keine Rolle mehr.

Sie hielten in der Mitte eines kahlen Korridors. Der Stein sah hier älter aus. In seiner Zelle wirkte er gelblich und etwas staubig — derselbe gelbe Sandstein, aus dem die meisten Häuser von Eterna bestanden. Im Sonnenlicht des Frühlings schimmerte er golden, ein falsches Versprechen für naive Besucher. Im Lauf des Sommers verdunkelte sich das Gelb zu einem schmutzigen Ocker und enthüllte so die verdorbene Seele der Stadt. Dann kam der Herbstregen, wusch Sünde und Schlimmeres weg und ließ Eterna wieder in falschem Glanz erstrahlen.

Die Mauern um ihn herum waren zwar golden, aber die Steine glänzten, als hätte ein Riese sie verdichtet und poliert. Was war das für ein Ort? Sie hatten schon lange keine Kreuzung oder Tür mehr passiert, und vor ihnen erstreckte sich der schlichte Korridor.

«Wir müssen dir jetzt die Augen verbinden.»

Das konnte interessant werden. Die meisten Leute machten es falsch, und er kannte Tricks, die er anwenden konnte.

Sie streiften ihm einen Sack aus dichtem schwarzem Stoff über den Kopf und bedeckten seine Augen mit einem zusätzlichen Stoffstreifen, den sie am Hinterkopf verknoteten. Offenbar kannten sie seine Tricks auch.

Ihr Griff wurde fester, als sie ihn weiterführten.

«Wir dürfen dich nicht stolpern, gegen eine Wand laufen oder den Kopf anschlagen lassen. Also beweg dich! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.»

Sie bogen noch ein paar Mal ab. Nach mehreren hundert Schritten schienen sie endlich da zu sein.

Die Augenbinde wurde entfernt.

Emilio sah sich um und fand sich — in einer Höhle wieder?

«Erblicke die Treppen der Ewigkeit», intonierten die Wachen und ließen seine Arme los.

Emilio drehte sich im Kreis.

Wie waren sie hier reingekommen? Die sie umgebenden rauen Wände zeigten keine Öffnungen. Weit über seinem Kopf verbanden sie sich zu einer gewölbten Decke, die einsturzgefährdet wirkte. Und in der Mitte des offenen Raumes …

«Die Zukunft ist ungewiss. So sind die Stufen nach oben durchscheinend und hängen an einem Faden aus dem Nebel der Möglichkeiten. Mit jedem vergehenden Augenblick wird die Gegenwart zur Vergangenheit und versteinert gemäß den Launen des Schicksals. So besteht die Treppe, die nach unten führt, aus unregelmäßigem Stein.»

Hatten sie ihn betäubt? Das alles konnte nicht echt sein. Und da war ein Fehler in der Erklärung.

«Wenn wir in der Gegenwart leben, warum ist der Boden unter unseren Füßen aus Stein?»

Der Wächter winkte nachlässig mit der Hand, und Emilio wünschte, er hätte den Mund gehalten. Der Boden und die Wände verschwanden, und sie schwebten über einem gigantischen dunklen Abgrund. Ohne visuelle Orientierung dauerte es einen Moment, bis Emilio erkannte, was sich vor seinen Augen abspielte.

Wie der Zeiger einer Uhr drehte sich die Wendeltreppe langsam im Kreis. Die lichtdurchlässigen Stufen der Zukunft wurden zu Steinstufen und sanken in die Vergangenheit. Oder die Treppe bildete die Mittelachse, während er und die Wachen sich gegen den Uhrzeigersinn und nach oben um sie drehten. Beide Wahrnehmungen konnten wahr sein — oder keine.

«Das ist die Zeit», flüsterte Emilio und starrte in die Dunkelheit unter seinen Füßen, dann in den Nebel der Möglichkeiten.

«Los!» Die Wachen zeigten auf die Steinstufen, die nach unten führten.

Emilio fühlte Panik. In seinem Kopf drängten sich die Fragen, und er hatte Angst, mehr Angst als jemals zuvor in seinem Leben.

Konzentrier dich auf die Mission. Geh einfach. Was auch immer passiert, nichts ist mehr wichtig.

Das Überqueren der Leere schien ewig zu dauern. Die Blicke der Wachen bohrten sich in seinen Rücken. Er fühlte seine Zähne klappern. Aus Angst? Oder fror er?

Dann erreichte er die Treppe. Er zwang sich, nicht zurückzublicken, und trat auf die Steinstufe, die sich direkt vor ihm verfestigte und die Gegenwart in die Vergangenheit verwandelte. In dem Moment, als sein nackter Fuß die steinige Oberfläche berührte, gab es einen Ruck in seiner Wahrnehmung und er war vorübergehend blind.

Er wartete. War das der Tod?

Offenbar nicht. Sein Sehvermögen kehrte allmählich zurück, und er fand sich auf einer schmalen Wendeltreppe wieder, ähnlich der eines Turms. Das ganze mystische Drumherum war verschwunden. In der Wand hinter ihm befand sich eine verschlossene Tür.

Er musterte die hellen, regelmäßigen Stufen, die nach oben führten.

«HINAB!» Der Befehl schien sich wie ein Gewicht auf seine Schultern zu legen.

Diese Richtung sah nicht ansprechend aus. Die Fackeln, die einmal pro Umdrehung in Wandhalterungen steckten, warfen ein flackerndes, trügerisches Licht. Spinnweben hingen wie Vorhänge von den rissigen Wänden und der Decke, und Trümmer bedeckten die baufällig wirkenden Stufen.

Emilio zitterte im kalten Luftzug, der aus den Tiefen der Vergangenheit aufstieg.

Ich bin das gefährlichste Lebewesen hier drin, ermunterte er sich.

Er stieg vorsichtig eine Stufe hinab, dann eine weitere. Nach ein paar Runden fand er die erste Türöffnung. Wie weit musste er gehen?

Er überprüfte sorgfältig, was dahinter lag, und blieb dabei in Deckung wie jeder gut ausgebildete Mörder.

Er sah sanfte Hügel und Wiesen, auf die strahlendes Sonnenlicht fiel.

Der Luftzug umspielte ihn und flüsterte ihm ins Ohr. Geh weiter …

Also ging er weiter. Jedes Mal, wenn er eine neue Tür fand, hörte er das Flüstern wieder. Wie weit in der Vergangenheit lag sein Ziel?

Inzwischen war ihm eiskalt, und er fürchtete sich. Die Geister, denen er ab und zu begegnete, störten ihn nicht. Sie konzentrierten sich auf sich selbst und ihre zerbrochenen Träume und interessierten sich kaum für die Lebenden.

Aber er traf auch auf seltsame Wesen — einen alten Mönch mit einer Sanduhr in den Händen, eine hochgewachsene Gestalt in einem langen Umhang mit hochgezogener Kapuze, die eine Sense über den Rücken geschlungen trug, und einige andere Kreaturen, die nicht existieren sollten.

Ich fantasiere. Also haben sie mir doch heimlich Drogen gegeben.

Nichts anderes machte Sinn.

Plötzlich stolperte er und fing sich im letzten Moment auf. Verdammt! Seine Handflächen waren aufgerissen. Und er war zu müde, um weiter hinabzusteigen, und verlor dank seines rasierten Kopfes und seines nackten Körpers rasend schnell an Körperwärme. Ohne Wasser und Nahrung war es nur eine Frage der Zeit, bis ihm ein fataler Fehltritt unterlief.

Eine weitere Tür kam in Sicht. Sie zeigte ihm ein dunkles und trostloses Land, in dem sich ein Schneesturm austobte. Der Wind heulte wie ein Schwarm Todesfeen, während er an Hügeln und Bäumen riss.

Bitte nicht hier! Ich hasse Schnee. Und ich halte diese Kälte nicht aus …

Die Stufe unter seinen Füßen zerbrach. Emilio versuchte das Gleichgewicht zu halten, scheiterte und fiel durch die Tür. Er bereitete sich darauf vor, in einem eisigen Schneehaufen zu landen, und war überrascht, als seine Wahrnehmung sich plötzlich erneut verschob.

Der Effekt war nicht so schlimm wie beim Betreten der Treppe, aber dennoch verwirrend.

Ist das ein Teppich unter mir?

«Der Teufel soll diese verfluchten Treppen holen!», hörte er plötzlich eine schrille Stimme. «Ich ersuche sie um einen Prinzen, und sie schicken mir einen Mörder?»

Völlig erschöpft hob Emilio den Kopf.

Wie der letzte Trottel war er zwei jungen Frauen vor die Füße geplumpst. Sie trugen die zweckmäßige Kleidung von Waldleuten — Lederhosen, lange seidene Tuniken, Wollumhänge und hohe Stiefel, deren Schäfte bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichten.

Eine der jungen Frauen war hübsch, braunhaarig und etwas rundlich. Ihre großen grünen Augen musterten ihn besorgt.

Die andere drohte vor Ärger zu platzen und glich eher einem Dämon als dem dünnen Mädchen, das sie wahrscheinlich unter normalen Umständen war. Ihr feuerrotes Haar hatte sich vor Empörung gesträubt, und der glühende Blick ihrer grünen Augen brannte wie die Feuer der Hölle.

«Runter vom Teppich, Strolch! Du bist nutzlos für mich, ganz egal, was diese verdammten Treppen erreichen wollten. Hätte ich doch nie auf meine dämlichen Berater gehört!»

Mit einem wütenden Grollen warf sie sich herum und stürmte fort von wo auch immer sie sich befanden.

[…]

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«Wolf des Südens»

von Isa Day

Band 1 der Serie «Die Treppen der Ewigkeit»

Erscheinungsdatum: 9. November 2018

276 Seiten

erhältlich bei Amazon als eBook (auch für Kindle Unlimited) sowie überall im Buchhandel als BoD-Taschenbuch

ISBN eBook: 978-3-906868-09-7
ISBN Taschenbuch (BoD): 978-3-748116912

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